Ein Brief an die Zuschauer

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KP
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Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von KP » 29.08.2009, 12:17

Liebe Zuschauer,

wenn Ihr einen ruhigen Moment einmal dazu nutzt, über den Schiedsrichter nachzudenken, so wird Euch sicher auffallen, dass er eben mehr als nur ein notwendiges Übel ist.

Der Schiedsrichter soll nahezu unmögliche Dinge vollbringen: Er soll immer auf Ballhöhe sein, das Spiel aber nicht stören. Er soll alles mitbekommen, hat aber auch nur 2 Augen. Er soll auch dann noch sprinten, wenn alle anderen schon keuchend auf dem Platz stehen. Ein Spieler, der einen schlechten Tag hat oder nicht mehr kann, wird ausgewechselt, der Schiri kann sich nicht auswechseln lassen, auch wenn er selber merkt, dass es nicht sein Tag ist. Zu allem Überfluss hat der Schiedsrichter nach Regeln zu pfeifen, die er oft genug selbst nicht gerecht findet bzw. die weder Spielern noch Zuschauern in korrekter Form bekannt sind (das beliebteste Beispiel ist das Handspiel).

Jedem Schiedsrichter ist klar, dass er – wie übrigens auch die Spieler – in einem Spiel Fehler machen wird. Soweit er, was leider gar zu oft der Fall ist, auch noch alleine auf dem Platz steht, wird es auch immer wieder Fälle geben, in denen die Zuschauer bestimmte Dinge besser sehen als der Schiri – der soll beispielsweise eben noch den Angriff beobachten und beim lang geschlagenen Pass zur Befreiung gleichzeitig sehen, ob jemand in seinem Rücken im Abseits stand (warum bloß gibt es in den höheren Ligen neutrale Assistenten?).

Es solle sich keiner einbilden, dass wir Schiris uns nicht ärgern, wenn wir einen Fehler machen. Noch mehr ärgern wir uns, wenn wir eine Situation nicht korrekt beurteilen können, weil einfach ein Spieler im Weg stand und uns die Sicht verdeckt hat oder Dinge hinter unserem Rücken passieren. Am meisten ärgern wir uns aber, wenn man uns angreift, obwohl wir alles richtig gemacht haben (gerade letzten Sonntag reklamierten Spieler bei mir ein klares Handspiel und wollten einen Strafstoß, dabei hatten sie gar nicht mitbekommen, wie ein Mannschaftskollege genau diesen Ball volley ins gegnerische Tor geschossen hatte; erst auf die Frage, ob sie nun lieber Tor oder Strafstoß wollten, haben sie kapiert, was los war). Am schlimmsten sind aber die Fälle, in denen Spieler so lockere Sprüche absetzen wie etwa „Heute spielen wir gegen 12 Mann“, da man uns damit Parteilichkeit unterstellt.

Ich will nicht leugnen, dass es Schiedsrichter geben mag, die parteiisch sind – aber das dürfte die ganz große Minderheit sein. Schon öfter dürften die Schiris vorkommen, die „Heim-Schiedsrichter“ sind, aber auch die machen das sicher nicht mit Absicht, sie sind auch nur, wenn auch schwache, Menschen; aber auch die sind eine kleine Minderheit. Womit wir aber schon beim Thema Mensch wären: Wir sind auch nur Menschen! Wenn man uns angreift, gehen wir in Verteidigungsstellung, auch wenn das nicht bewusst passiert – und schon kann es passieren, dass man als Schiedsrichter die eine Mannschaft strenger beurteilt. Ich verspreche Ihnen, dass wir uns bemühen, dies zu unterdrücken, ganz ausschließen lässt sich das nie.

Sie sind übrigens auch nur Menschen – die auch Fehler machen können. Ihr größter Fehler ist, dass sie zu oft und zu lautstark schreien und uns die Spielleitung so unnötig schwer machen. Gerade bei Anwendung der Vorteilsbestimmung verstehen die Zuschauer oft nicht, warum der Schiri nicht oder spät pfeift – und gerade ihre Zurufe erschweren es uns, die Vorteilsbestimmung anzuwenden, weil der – regeltechnisch vorgesehene – verzögerte Pfiff den Verdacht aufkeimen lässt, wie würden auf Zuruf pfeifen.

Natürlich ist Fußball kein emotionsloses Spiel und wir haben durchaus eine gehörige Portion Verständnis für Sie. Auch sind wir durchaus in der Lage, eine ganze Menge an Zurufen zu ignorieren, was wir übrigens auch bei den Spielern tun, denn ich verspreche Ihnen, würden wir alles genau hören, ginge nahezu kein Spiel ohne mehrere Platzverweise zu Ende. Im übrigen ist ein Zuruf „Ey Schiri“ oder ein lautes Jaulen von anderer Qualität als so nette Komplimente wie „Blindfisch“ und Co.

Übrigens: Wer meint, dass der Schiri-Job doch ganz einfach sei, der sollte sich nach dem nächsten Neulingslehrgang erkundigen, es gibt eigentlich keinen Fußballkreis, der genügend Schiris hat. Meist ist das Gegenteil der Fall und mancher Schiedsrichter ist öfter unterwegs als ihm lieb ist, damit möglichst zu jedem Spiel ein Schiri kommt. Natürlich haben auch wir Leute in unseren Reihen, die womöglich besser aufhören würden, weil sie – warum auch immer – keine Top-Leistungen (mehr) bringen (können). Der Preis könnte aber sein, dass es zunehmend Spiele ohne Schiri gäbe, wäre das besser?

Am einfachsten ist es, wenn einfach nur Fußball gespielt wird; sie sehen ein hoffentlich attraktives Spiel, auch wenn „Ihr“ Team einmal verlieren sollte und wir freuen uns, wenn wir eigentlich überflüssig sind und als reine Zeitnehmer fungieren können, leider klappt das nur selten, aber das sollte unser gemeinsames Ziel sein.

Ach ja, noch eines: Wenn man einen Schiedsrichter nett und sachlich fragt und das Spiel nicht gar zu chaotisch verlief, werden die meisten Schiris auch gerne Auskunft über Regelfragen oder einzelne Entscheidungen geben. Akzeptieren Sie aber bitte, dass dies natürlich nur in der Pause oder – noch besser – nach Spielende möglich ist und dies keine endlose Sache sein kann. Akzeptieren Sie auch, dass der Schiri nun einmal so entschieden hat und nicht laut zugeben kann, dass es eine Fehlentscheidung war; bei vernünftigem Umgang miteinander wird er schon durchblicken lassen, wenn er selber gemerkt hat, dass er daneben lag.

Eines noch: Wir sind alle nur Laienspieler: Spieler, Schiedsrichter und Zuschauer – und die meisten haben wichtigere Dinge im Leben wie Familie und Beruf. Lassen Sie es zu, dass Fußball für alle ein Hobby bleibt und denken Sie daran, wer mehr Professionalität fordert, wird dafür auch bezahlen müssen – wollen wir das?

Viele Grüße,
Ihr Schiedsrichter

(C) Manfred von fussball-sr.de
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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von Lok-Schiri » 29.08.2009, 12:20

Sehr gute Ausführungen. Besser hätte man es nicht formulieren können !!
Auch aus Steinen, die in den Weg gelegt werden,
kann man Schönes bauen


Plane Dein Leben, als hättest Du noch 100 Jahre zu leben. Und lebe Dein Leben, als wäre heute Dein letzter Tag

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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von Bundestrainer » 29.08.2009, 12:24

Ich find`s auch sehr gelungen!

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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von Evomania » 29.08.2009, 13:32

Ich kann meinen Vorschreiberlingen nur zustimmen.
Ich denke, also bin ich, denk ich!

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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von CaseyRyback » 29.08.2009, 14:47

Klingt wie ein Rechtfertigungsschrieben für schlecht geleitete Spiele. Das sind alles Dinge, die sicher plausibel sind, aber ob es den "gemeinen Gröler und Pöbler" erreichen wird? Ich denke eher nicht. Wer SR wird, der wird damit leben müssen, dass er verbal angegriffen wird. Das ist schon immer so gewesen und wird sich auch nie ändern.

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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von Weißer_Ronaldo » 29.08.2009, 22:03

Sicherlich wird man damit nicht die "Gröler und Pöbler" erreichen. Wenn man aber damit noch mehr vernünftige Sportfreunde (Aktive und Zuschauer) zum Nachdenken anregen könnte, hätte man schon eine Menge erreicht. Je größer die Anzahl der Vernünftigen, umso schwerer haben es doch die Gröler und Pöbler". Erst recht, wenn die Vernünftigen auch mal ggf. einen SR gegen ungerechtfertigte Kommentare oder Beleidigungen von Mitspielern oder Zuschauern in Schutz nehmen würden.

Ein kurzes "Eh Jungs, das konnte er gar nicht richtig sehen." oder ein "Das war ganz knapp." oder ähnliches kann diesen Leuten schon eine ganze Menge "Munition" nehmen. Sowas kann manchmal ein ganzes Spiel entkrampfen.
Bin zwar nicht so schnell wie Ronaldo, auch nicht so groß. Aber immerhin schon mal so dick.

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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von MartinT » 30.08.2009, 08:04

@ Postman, bitte ausdrucken und eurem Trainer vorlegen. Ich fande sein Verhalten (ausdrucksweise) gegenüber dem Schiri-Trio gestern unter aller S** ...
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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von Meguaner » 30.08.2009, 20:23

KP hat geschrieben:Liebe Zuschauer,

wenn Ihr einen ruhigen Moment einmal dazu nutzt, über den Schiedsrichter nachzudenken, so wird Euch sicher auffallen, dass er eben mehr als nur ein notwendiges Übel ist.
Gefällt mir gut, die Ausführungen zum Thema, wir werden es ins Programmheft am 5.9. unserer Lindenauer II - Chemie Leipzig bringen.
Wir waren gut, waren die anderen besser?

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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von KP » 31.08.2009, 11:24

Bitte das (c) dabei nicht vergessen :-)
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Re: Ein Brief an die Zuschauer

Beitrag von Eyven » 31.08.2009, 13:30

Natrlich seid ihr Menschen und dürft Fehler machen. Dagegen hat niemand, etwas.

Aber wenn ihr immer alles persönlich nehmt, dann solltet ihr über euer Karriereende nachdenken. Der Rolle des Schiedsrichters wird immer der schwarze Peter zugeschoben, weil ihr sehr viel Verantwortung tragt. Da ist es egal, welcher Mensch diese Rolle ausfüllt.
Das Thema Emotionen wird ja auch aufgegriffen. Also spreche ich es auch an. Hört ihr Schiedsrichter auch mal, was sich Spieler untereinander sagen? Oder was sich Spieler von Fans/Anhängern der gegnerischen Mannschaft anhören müssen? Eben...
Nehmt nicht alles persönlich, weil das meiste auf die Rolle des Unparteiischen abzielt und nicht auf den Menschen der die Rolle vertritt.

Ihr sollt euch Respekt verschaffen und auch Unsportlichkeiten (verbal oder physisch) ahnden. Aber einem Spieler wegen eines Kopfschütteln oder aufgrund unangemessener Lautstärke (einmalig) die gelbe Karte zu zeigen, ist für mich keine verantwortungsvolle Art und auch kein verständnisvoller Umgang miteinander. (Und das Verständnis fordert ihr SR ja auch so sehr.)
Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich, wie es ist, beschimpft und lautstark belästigt zu werden. Und ich muss auch immer einen kühlen Kopf bewahren.
Es sollte halt wieder so werden, dass der SR unauffällig das Spiel leitet und nicht Gesprächsthema Nummer 1 nach jedem Spiel ist.

Ahndet verbale Entgleisungen und Fouls, schreibt Sonderberichte über extrem unangenehme Fans und Anhänger (, zeigt, falls nowendig Straftaten gegen euch an), leitet das Spiel nach bestem Wissen und Gewissen und seid einfach nur SR auf dem Spielfeld und keine Privatperson.
Beste Grüße
Du kannst Niemanden überholen, wenn Du in seine Fußstapfen trittst!

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